Die Regierungen der Fangnationen im Nordostatlantik laufen sehenden Auges in eine mögliche Wiederholung des Herings-Crashs der 1960er Jahre hinein, wenn sie die Überfischung des atlanto-skandischen Herings – eines der größten und wirtschaftlich bedeutendsten Fischbestände Europas – nicht umgehend stoppen.
Der Internationale Rat für Meeresforschung (ICES) teilte kürzlich mit, dass die Fangemengen des atlanto-skandischen Herings um 44 Prozent gesenkt werden müssen. Doch selbst wenn die Fangnationen sich an diese Vorgabe halten, wird der Hering nach Einschätzung des ICES bis zum Jahr 2025 die kritische Schwelle unterschreiten, unterhalb derer die langfristige Nachhaltigkeit des Bestands bedroht ist.
Regierungen geben seit Jahren Fangquoten aus, die die wissenschaftliche Empfehlung übersteigen
Allein in den letzten sechs Jahren haben im Nordostatlantik die Fänge von atlanto-skandischem Hering, Makrele und Blauem Wittling die wissenschaftliche Empfehlung um 4,5 Millionen Tonnen überschritten - Fisch, der bei Befolgung der wissenschaftlichen Empfehlungen im Meer hätte bleiben müssen.1
Überfischung der drei großen Schwarmfischbestände im Nordostatlantik
Nach einer Analyse des Marine Stewardship Council haben die Herings-Fänge die vom ICES empfohlenen Mengen in den letzten Jahren stets signifikant überschritten, aktuell liegen sie um mehr als ein Drittel über der wissenschaftlichen Empfehlung (36%).
Für Makrele war die Fangmenge im Jahr 2022 32% höher als empfohlen.
Für Blauen Wittling war die Fangmenge zuletzt 23% höher als empfohlen.
Nur wenn wissenschaftliche Empfehlungen ernst genommen und
nachhaltige Fangquoten festgelegt werden, ist die Zukunft von
Fischbeständen auch langfristig sicher!
Zwar einigen sich die Fangnationen regelmäßig auf eine zulässige Gesamtfangmenge (TAC), die
den wissenschaftlichen Empfehlungen des Internationalen Rates für
Meeresforschung (ICES) entspricht - doch sind sie anschließend nicht in der Lage, sich
auch darauf zu einigen, wie diese Gesamtfangmenge unter den Fangnationen aufgeteilt werden soll. So legt dann jedes Land seinen Fangmengenanteil individuell für sich fest - mit der Konsequenz, dass die Summe dieser individuellen Fangmengen weit über der eigentlich vereinbarten und wissenschaftlich
empfohlenen Gesamtmenge liegt.
Die Bewahrung der nordostatlantischen Bestände liegt in den Händen einiger Länder, die zu den reichsten der Welt gehören.
!
Internationale Einigung dringend erforderlich
Dieses Länder haben nicht nur Zugang zu umfangreichen Daten und wissenschaftlichem Fachwissen, sondern verfügen auch
über fortschrittliche Regulierungs- und Kontrollstrukturen. Es liegt in der Verantwortung ihrer Regierenden, die gemeinsam genutzten natürlichen Ressourcen mit Blick auf das Wohl der Menschen und die Zukunft unseres Planeten nachhaltig zu bewirtschaften.
Die drei großen Schwarmfisch-Bestände im Nordostatlantik - atlanto-skandischer Hering, Makrele und Blauer Wittling - werden von der Europäischen Union (EU), von Norwegen, Island, Russland, den Färöer-Inseln, Grönland und Großbritannien gemeinsam befischt. Diese Staaten bilden die Vertragsparteien der North East Atlantic Fisheries Commission (NEAFC).
Diese Nationen sollten sich jährlich für jeden Bestand auf eine Gesamtfangmenge (Total Allowable Catch – TAC) einigen und eine Fangmengenaufteilung festlegen, die der vom Internationalen Rat für Meeresforschung (ICES) empfohlenen Höchstfangmenge entspricht.
Fischbestände bedroht
In den letzten Jahren haben sich die Bestandsgrößen der drei Bestände tendenziell rückläufig entwickelt - besonders besorgniserregend beim atlanto-skandischen Hering, dessen Bestand sich zwischen 2008 und heute fast halbiert hat - von 7 auf 3,7 Millionen Tonnen. Dieser Bestand brach bereits in den späten 1960er Jahren aufgrund von Überfischung zusammen und konnte sich erst nach 20 Jahren wieder erholen. Der Zusammenbruch der Bestände würde dem Meeresökosystem enormen Schaden zufügen und gleichzeitig den Verlust einer wertvollen Nahrungsquelle und tausender Arbeitsplätze bedeuten.
Vorausschauendes Bestandsmanagement, wissenschaftlich fundierte Fangquoten und die Zusammenarbeit aller Fangnationen sind wichtige Bestandteile eines nachhaltigen Fischereimanagements. Letzteres ist eine der zentralen Anforderungen des MSC-Umweltstandards.
Das Fehlen von ökologisch tragfähigen Quotenvereinbarungen hat deshalb dazu geführt, dass alle Fischereien auf Makrele, antlanto-skandischen Hering und Blauen Wittling im Nordostatlantik ihr MSC-Zertifikat verloren haben.
Die intensiven Bemühungen der Fischer um verantwortungsvollen Fischfang sind in diesem Fall vergebens, denn ohne ein effektives überregionales Fischereimanagement können Fischereien nicht nachhaltig sein. Solange die Regierungen keine Einigung in Bezug auf die Fangquotenverteilung erzielen und eine langfristig nachhaltige Bewirtschaftung der Bestände möglich machen, bleiben die MSC-Suspendierungen bestehen.
Bestandsmanagement in Zeiten von Klimawandel und politischer Instabilität
Herausforderungen wie Brexit und Ukrainekrieg, aber auch der Klimawandel und seine Auswirkungen auf Fischbestände und ihr Verbreitungsgebiet, erschweren die Verhandlungen zwischen den Fangnationen. Sie verdeutlichen aber auch die umso dringendere Notwendigkeit langfristiger Bewirtschaftungsabkommen.
Quelle: Institute of Marine Research (2013), angepasst an internat. Ökosystem Umfragen 1995-2020
“Die Regierungen müssen die jüngsten wissenschaftlichen Daten als dringende Warnung verstehen, sich endlich auf gemeinsame Fangquoten zu einigen und ihre Fangmengen innerhalb nachhaltiger Grenzen zu halten! Andernfalls steuern sie sehenden Auges in eine beängstigende Situation. Es wäre ein Armutszeugnis für die beteiligten Regierungen, wenn es ihnen auf dem nächsten Treffen im Oktober 2023 nicht gelänge, sich auf eine nachhaltige Bewirtschaftung zu einigen!”
Marine Stewardship Council
Anmerkungen
1Zwischen 2017 und 2022 übersteigen die tatsächlichen Fangmengen die vom ICES empfohlenen nachhaltigen Fangmengen um knapp 4,5 Mio. Tonnen (MSC-Berechnung auf der Grundlage von Fangmengenempfehlungen und tatsächlichen Fangdaten laut ICES 2017 – 2022).
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