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Zentraler Ostseehering schon seit September 2021 NICHT mehr MSC-zertifiziert

Der WWF formuliert in seiner Pressemeldung vom 06. Oktober missverständliche Aussagen in Bezug auf die MSC-Zertifizierung der Heringsfischereien in der zentralen Ostsee.

Alle MSC-zertifizierten Fischereien auf Hering in der zentralen Ostsee sind bereits seit über einem Jahr aufgrund der schlechten Bestandsentwicklung suspendiert. Das heißt, seitdem darf Ostseehering nicht mehr als MSC-zertifiziert verkauft werden. Weder den handwerklichen noch den industriellen Fischereien wurde das Siegel bisher zurück gegeben. Die vom WWF kritisierte MSC-zertifizierte Sprottenfischerei in der Ostsee, die in geringen Mengen auch Hering beifängt, stellt KEINE Ausnahme dar! Die Darstellung einer Heringsfischerei in der Ostsee, die trotz kollabierten Bestandes weiterhin mit MSC-Zertifikat unverändert stattfindet, ist falsch.

Die Fänge kleiner pelagischer Arten in der Ostsee sind fast nie zu 100 Prozent artenrein, weil Heringe und Sprotten meist gemischte Schwärme bilden. Selbst wenn die Fischerei nur auf eine Art abzielt, werden daher so gut wie nie nur Heringe oder nur Sprotten gefangen. Die vom WWF kritisierte angebliche "Ausnahmeregelung" für die Sprottenfischerei, weiterhin Hering anlanden zu dürfen, bezieht sich auf das schon lange bestehende IPI-Konzept in den MSC-Zertifizierungsregularien [1], das genau dieser Tatsache Rechnung trägt und den Umgang mit Beifang praktisch nicht zu separierender Arten regelt. In manchen Fischereien ist eine Trennung der gemischten Fänge auf Artniveau nicht möglich. Das kann dann der Fall sein, wenn sich die Arten so ähnlich sind, dass eine Unterscheidung nicht möglich oder wie bei der Sprottenfischerei in der Ostsee, nicht wirtschaftlich ist. Unter bestimmten Voraussetzungen kann daher ein geringer Anteil nicht-zertifizierter Fänge (unter 15 Prozent) in der zertifizierten Gesamtfangmenge enthalten sein. Dieses Konzept findet unabhängig davon Anwendung, ob die Fischerei klein und handwerklich oder industriell ist.  

Um weiterhin Sprotten mit MSC-Zertifikat anlanden zu können, hat sich die Sprottenfischerei in der Ostsee dazu verpflichtet, die Fischerei zeitlich und räumlich so zu begrenzen, dass der Heringsanteil im Fang möglichst klein gehalten wird. So suchen sie jetzt Fanggebiete auf in denen sich bekanntermaßen wenig Heringe aufhalten. Die Einhaltung der Fangzusammensetzung wird in jährlichen MSC-Audits kontrolliert und unterstützt ein nachhaltiges Fischereimanagement in der Ostsee. 

Wieso kann die handwerkliche Fischerei vom IPI-Konzept nicht profitieren?

Dem MSC eine Bevorzugung der großen industriellen Fischerei gegenüber der kleinen handwerklichen Fischerei vorzuwerfen, ist aus unser Sicht unsachlich. An der Fischtheke Heringe und Sprotten als "Hering" zu verkaufen wäre beispielsweise absurd, weshalb Fischereien, die etwa Hering in der Ostsee als Speisefisch fangen und dabei Sprotte beifangen, ihren Fang selbstverständlich nach Arten sortieren. Für Fischereien, die für die Futtermittelproduktion fischen, ist eine Sortierung nach Arten jedoch ökonomisch untragbar und nicht sinnvoll, da die Fänge in den Futtermühlen unsortiert zu Fischmehl und -öl verarbeitet werden. 

Kann eine Fischerei für die Futtermittelproduktion nachhaltig sein?

Für das marine Ökosystem wäre es vermutlich besser, die Menschen äßen mehr kleine Schwarmfische wie Sardellen, Sprotten und Heringe und weniger Raubfische wie Thunfisch, Lachs und Dorade. Die Realität sieht jedoch so aus, dass kleine pelagische Fische für den menschlichen Verzehr nur gering nachgefragt werden. Auch der Deutschen liebster Speisefisch ist nicht die Sprotte sondern der Lachs und dieser kommt zu großen Teilen aus Aquakultur auf unsere Teller. Um Lachs und viele andere Raubfische zu züchten, muss Wildfisch gefangen werden. Lachsfutter besteht z.B. zu 20-30 Prozent aus Fischmehl und -öl. Die Notwendigkeit nachhaltiger Quellen für Futtermittel war also noch nie so wichtig wie heute.

Fisch ist eine wichtige Proteinquelle für die menschliche Ernährung. Die Fischerei alleine kann schon lange nicht mehr den weltweiten Bedarf decken. Die Aquakultur ist aktuell einer der am schnellsten wachsenden Wirtschaftszweige der Nahrungsmittelerzeugung. Schon heute kommt knapp die Hälfte des weltweiten Speisefisches aus der Aquakultur. Der MSC wertschätzt die Arbeit des WWF und wir respektieren verschiedene Sichtweisen unterschiedlicher Interessengruppen. Mit zunehmender Relevanz von Aquakultur sehen wir allerdings auch die Notwendigkeit von nachhaltigen Quellen für Fischmehl und -öl im Tierfutter. Alle MSC-zertifizierten Fischereien müssen die gleichen strengen Nachhaltigkeitsanforderungen erfüllen, egal für welches Endprodukt sie fischen. Fischereien, deren Fang in der Futtermittelproduktion verarbeitet wird, haben wie alle anderen Fischereien auch, Auswirkungen auf das marine Ökosystem. Wir finden, dass Nachhaltigkeitsbemühungen in diesem Fischereisektor vielmehr honoriert und wertgeschätzt, und nicht als unverständlich oder gar fahrlässig heruntergestuft werden sollten. 

Die Forderung des WWF verantwortungsvolle und nachhaltige Fangbeschränkungen für die Fischbestände in der Ostsee für das Jahr 2023 festzulegen unterstützt der MSC uneingeschränkt. 

Anmerkungen

[1] Inseparable or practicably inseparable stocks in a catch kurz IPI, siehe MSC Fisheries Certification Process and Guidance v 2.02 S. 49ff