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Nein! Der MSC-Standard lässt KEINE Zertifizierung von Fischereien zu, deren Zielbestände überfischt sind. MSC-zertifizierte Fischereien dürfen einem Bestand nur so viel entnehmen, wie wieder nachwachsen kann. Zertifizierten Fischereien, deren Bestände in einen Bereich abrutschen, in dem ihre Nachwuchsproduktion gefährdet ist, wird das Zertifikat entzogen.

Global gelten unterschiedliche Bewertungssysteme

Den Zustand eines Fischbestandes ermitteln Wissenschaftler auf Basis von Daten und mithilfe von Modellrechnungen und Grenzwerten.

Die Krux an der Sache: Nicht für alle Fischbestände sind einheitliche Daten verfügbar und global gelten unterschiedliche Grenzwerte, ab wann ein Fischbestand als überfischt gilt.

Noch komplizierter wird das Ganze, da nicht nur die Welternährungsorganisation FAO Bestandsbewertungen für Fischbestände herausgibt, sondern auch die EU-Kommission und nationale und internationale Gremien und Behörden.

Für die Fischbestände im Nordostatlantik erstellt z.B. der Internationale Rat für Meeresforschung (ICES) jedes Jahr Bestandsbewertungen und ermittelt auf deren Grundlage wissenschaftliche Empfehlungen für nachhaltige Fangmengen für das nächste Jahr. Für Fischbestände im US-amerikanischen Nordwestatlantik und Nordpazifik übernimmt die Nationale Ozeanografie- und Wetterorganisation (NOAA) der USA diese Aufgabe.

Ab wann gilt ein Fischbestand als überfischt?

Weder Datengrundlagen noch Grenzwerte zur Überfischung der Meere sind global vereinheitlicht und entsprechend gibt es unterschiedliche Schlussfolgerungen über den Zustand von Fischbeständen. Je nach Sichtweise und Intention werden die Zahlen in der öffentlichen Diskussion zudem auf unterschiedliche Weise interpretiert, je nachdem ob das Glas halb voll oder halb leer dargestellt werden soll. 

Der MSC folgt der Definition der FAOwonach ein Bestand als überfischt gilt, wenn seine Laicherbiomasse so gering ist, dass die Reproduktionsfähigkeit des Bestandes eingeschränkt und daher die Nachwuchsproduktion gefährdet ist. Diese Definition, nachzulesen im „Verhaltenskodex für verantwortungsvolle Fischerei“ sowie den „Leitlinien für die Vergabe von Umweltsiegeln für Fisch und Fischereierzeugnisse“ der FAO, folgt der Mehrheit der internationalen wissenschaftlichen Gemeinschaft und entspricht der internationalen besten Praxis im Fischereimanagement sowie den Empfehlungen verschiedener nationaler und internationaler wissenschaftlicher Gremien wie zum Beispiel der NOAA und des ICES.

Warum das Thema Überfischung uns alle angeht

Die Überfischung der Meere riskiert Artenvielfalt, marine Ökosysteme und die Ernährung von Millionen von Menschen.

Globaler Kontext für globale Organisation

Als global agierende Organisation folgt der MSC der mehrheitlichen Einschätzung der wissenschaftlichen Gemeinschaft und zieht keine Einzelmeinungen als Grundlage für die Definition seiner Kriterien heran. Der MSC hat den international strengsten Standard zur Bewertung der Nachhaltigkeit von Fischereien.

MSY – ein Zielwert für nachhaltige Fischerei

MSC_Fischerei_Biomasse_Bestände

Wenn ein zuvor noch nicht befischter Bestand, zum ersten Mal befischt wird, nimmt die Biomasse zunächst ab. Doch es gibt einen Punkt, an dem eine konstante Befischung für unbegrenzte Zeit aufrechterhalten werden kann, ohne dass der Bestand weiter abnimmt. An diesem Punkt ist die Produktivität des Bestandes am höchsten. Die Fangmenge, die an diesem Punkt nachhaltig erzielt werden kann, nennt man den „höchstmöglich nachhaltigen Dauerertrag“ (MSY). Die Abkürzung MSY kommt von der englischen Bezeichnung „Maximum Sustainable Yield“. Der Biomasse-Referenzwert, an dem der höchstmögliche nachhaltigen Dauerertrag erzielt wird, ist damit ein Zielwert des Fischereimanagements. Fischbestände auf diesem Niveau zu befischen, dient der langfristigen Ertragsoptimierung bei gleichzeitig nachhaltiger Befischung.

Der MSC verlangt in seinen Zertifizierungsanforderungen ein auf dem MSY-Prinzip basierendes Fischereimanagement.  

Referenzwerte und Grenzwerte an denen sich der MSC orientiert

Fischereibiologen bestimmen den Zustand eines Bestandes auf Basis der Kombination der beiden Faktoren „fischereiliche Sterblichkeit“ (auch „Fischereidruck“ genannt) [F = fishing mortality] und Größe bzw. Biomasse [B = Biomasse] des befischten Bestandes. Die Biomasse kennzeichnet den aktuellen Zustand des Bestandes und die fischereiliche Sterblichkeit ist ein Indiz für seine zukünftige Entwicklung.

Der MSC-Standard enthält klare und strenge Forderungen, was diese beiden Faktoren betrifft: Die Biomasse des Bestandes muss über dem Niveau liegen, an dem die Nachwuchsproduktion gefährdet ist (Blim, siehe Grafik), und um das Niveau fluktuieren, das den maximalen nachhaltigen Dauerertrag ermöglicht (BMSY, siehe Grafik). Die fischereiliche Sterblichkeit wird im MSC-Standard als Element der Befischungsstrategie betrachtet, die ein gesundes Niveau der Biomasse als Ziel festlegt. Der Standard verlangt also, dass Managementstrategien vorhanden sind, die sicherstellen, dass der Bestand um BMSY schwankt und immer über dem Grenzwert (Blim) liegt.

Wenn die Biomasse zeitweise unterhalb ihres grünen Bereichs (siehe Grafik) liegt, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass der Bestand nicht nachhaltig befischt wird. Das erklärte Ziel des Fischereimanagements besteht darin, dass die Biomasse eines Fischbestandes um BMSY fluktuiert, also auch kurzfristig darunterfallen darf. Wenn die Biomasse eines Bestandes unter ihrem Zielwert BMSY, aber über dem Grenzwert Blim liegt, ist zwar der zu erzielende Ertrag nicht optimal, aber der Bestand ist immer noch deutlich reproduktionsfähig. Unter bestimmten Voraussetzungen kann auch ein Bestand in dieser Situation (oranger Bereich, siehe Grafik) zertifiziert werden. Dafür muss es einen effektiven Wiederaufbauplan für den Bestand geben, der die Erholung des Bestandes innerhalb einer festgelegten Frist sicherstellt.

Sinkt die Biomasse eines Bestandes unter seinen Grenzwert (Blim), befindet er sich außerhalb sicherer biologischer Grenzen (roter Bereich, siehe Grafik) und ist nach international abgestimmter Definition „überfischt“. Eine Fischerei, die einen solchen Bestand befischt, kann nicht zertifiziert werden bzw. bekommt ihr Zertifikat entzogen.

Auch verlangt der MSC-Standard nicht zu jeder Zeit, dass der Fischereidruck unter FMSY liegen muss – allerdings gelten dann strenge Regeln: Es muss Nachweise dafür geben, dass die Bestände im Rahmen des Bewirtschaftungsplanes bei oder über BMSY gehalten werden, oder sich innerhalb festgelegter Fristen auf ihren BMSY-Wert erholen können.

„Überfischt sein“ und „überfischt werden“. Einfache Wörter mit kompliziertem Inhalt

In der Tat gibt es einen Unterschied zwischen der Aussage „der Bestand ist überfischt“ und „der Bestand wird überfischt“. Die Aussage „ein Bestand ist überfischt“ bezieht sich auf die Biomasse. Wenn diese unter den entsprechenden Referenzwert (Blim) fällt, ist der Bestand überfischt. Die Aussage „der Bestand wird überfischt“ bezieht sich auf die fischereiliche Sterblichkeit. Liegt diese zu hoch (F>FMSY), wird der Bestand zu dem Zeitpunkt überfischt. Wird ein gesunder Bestand über längere Zeit zu stark befischt, beeinträchtigt dies langfristig auch seine Biomasse und der Bestand ist dann auch irgendwann überfischt. Beides sind Zustände, die durch ein effektives Fischereimanagement vermieden werden müssen.

Fischbestände sind dynamisch – sie müssen auch dynamisch bewirtschaftet werden

Jeder Bestand hat seine eigenen spezifischen Referenzwerte und diese sind dynamisch, denn Umweltbedingungen, Ernährung und natürliche Feinde ändern sich genauso wie die maximale Biomasse, die unter den gegebenen Bedingungen erreicht werden kann, oder die Intensität des Fischfangs, den der Bestand von sich aus ausgleichen kann. Aus diesen Gründen sind Referenzwerte wie der MSY keine statischen Werte: Die Größe bzw. Biomasse des Bestandes und die Fangmenge, die entnommen werden kann, ohne die Nachwuchsproduktion des Bestandes zu beeinträchtigen, können sich mit der Zeit ändern. Wichtig ist, dass das Fischereimanagement schnell genug auf solche Veränderungen reagiert.

Biomasse oder Fangmenge allein sagen nicht genügend über die Nachhaltigkeit einer Fischerei aus

Weil aber Fischbestände dynamisch sind, liefern die von Fischereiwissenschaftlern verwendeten zentralen Parameter Fangmenge und Biomasse allein keine ausreichenden Informationen darüber, ob eine Fischerei auf Dauer nachhaltig arbeitet oder nicht. Für eine erfolgreiche MSC-Zertifizierung müssen Fischereien daher die Gesundheit des befischten Bestandes nachweisen und darüber hinaus einem professionellen und effektiven Fischereimanagement unterliegen, das auf Veränderungen reagiert und sicherstellt, dass Bestandsgröße und Fischereidruck in einem nachhaltigen Rahmen bleiben. Falls die Biomasse eines Bestandes abnimmt, müssen wirksame Überwachungs- und Managementpraktiken sicherstellen, dass dies registriert wird und Maßnahmen ergriffen werden, damit sich der Bestand erholen kann, wie zum Beispiel durch eine Begrenzung der Fangmenge.

Beispielsweise wurde den zertifizierten Fischereien auf die bedeutenden Fischbestände im Nordostatlantik, Makrele, Hering und blauer Wittling 2019 bzw. 2021 das MSC-Siegel entzogen, obwohl sich die Biomasse der Bestände noch im grünen Bereich (siehe Grafik) befand. Allerdings haben diese Fischereien kein effektives staatenübergreifendes Management, das gewährleisten kann, dass diese Bestände auch in Zukunft gesund bleiben werden, was eine der Grundvoraussetzungen für eine MSC-Zertifizierung ist.  

Und natürlich muss eine nachhaltige Fischerei noch viel mehr berücksichtigen als nur den Zustand und ihren Einfluss auf die Zielart. So dürfen die verwendeten Fangmethoden zum Beispiel weder zu hohen Beifängen anderer Arten führen noch Schäden an marinen Lebensgemeinschaften oder dem Ökosystem verursachen. Was aber „hoch“ ist, oder wann eine Beeinträchtigung des Meeresbodens nicht mehr akzeptabel ist, auch darüber bestehen unterschiedliche Vorstellungen